mRNA als revolutionäre neue Wirkstoffklasse

Boten-RNA (messenger RNA, oder mRNA) ist eines der ersten Moleküle des Lebens und kommt in allen lebenden Zellen vor. Sie besteht aus vier verschiedenen Bausteinen, den Nukleotiden. Ein mRNA-Molekül setzt sich aus hunderten oder tausenden Nukleotiden zusammen, die in einer einzigartigen Weise aneinandergereiht sind. Auf diese Weise wird im Inneren der Zellen die notwendige Information für die Herstellung des jeweiligen Proteins übermittelt. In einem therapeutischen Rahmen kann die mRNA als eine Art Informationsträger verwendet werden, der gezielt für Proteine kodiert.

Auf einen Blick: mRNA als vielseitig einsetzbare Wirkstoffklasse

  • Natürlich vorkommendes Molekül mit gut erforschten Eigenschaften, das in allen Zellen vorkommt
  • Geeignet für die Kodierung von Antikörpern, Antigenen, Zytokinen und allen anderen Proteinen
  • Kurzlebig mit einer anpassbaren Aktivität und Halbwertszeit. Vermeidet Probleme mit der Integration in das Genom, die manchmal bei Gentherapien vorkommen können, und hat somit ein potenziell besseres Sicherheitsprofil
  • Kann pharmakologisch und immunologisch entwickelt und optimiert werden, wodurch mRNA für eine große Bandbreite an Anwendungen geeignet ist
  • Schnelle Produktion für flexible Therapeutika möglich

Wir nutzen mRNA für die Entwicklung wegweisender Therapeutika und Impfstoffe

Wir haben eine Reihe von mRNA-Plattformen entwickelt, um eine neue Klasse an Therapeutika und Impfstoffen für Patientinnen und Patienten sowie andere Personen bereitzustellen, die diese am dringendsten benötigen. Diese wissenschaftlichen Entdeckungen und Fortschritte haben es uns ermöglicht, den Weg für die Entwicklung des ersten mRNA-basierten Impfstoffs zu ebnen und wir erweitern unsere Expertise, um mit unserer mRNA-Impfstoffplattform verschiedene Infektionskrankheiten zu bekämpfen.

Unsere Krebsimpfstoff-Plattformen FixVac und iNeST sollen die Krebsbehandlung, wie wir sie bisher kennen, revolutionieren. Sie sollen Krebspatientinnen und -patienten einen angepassten Behandlungsansatz bieten, der speziell auf eine bestimmte Tumorindikation (FixVac) oder sogar auf ihren individuellen Tumor (iNeST) zugeschnitten ist. Zusätzlich werden wir mRNA nutzen, um die Baupläne für einen zielgerichteten Antikörper, ein Zytokin oder ein immunmodulierendes Protein mittels unserer RiboMabs-, RiboCytokines- und der intratumoralen Immuntherapie-Plattformen direkt an die Zellen des Patienten zu übermitteln. So wird dem Körper geholfen, das eigene Therapeutikum selbst und direkt im Tumor herzustellen.

Lese hier mehr über unsere mRNA-Plattformen

Wie BioNTechs grundlegende und translationale Krebsforschung den Weg für den ersten kommerziell verfügbaren mRNA-Impfstoff geebnet hat

Für die Entwicklung eines mRNA-basierten Krebsimpfstoffs stellten sich BioNTechs Mitgründer Ugur Sahin und Özlem Türeci drei großen Herausforderungen, die zuvor als unüberwindbar galten:

  1. Der Impfstoff musste in der Lage sein, Milliarden von Immunzellen zu induzieren, da bereits kleine Tumore aus Milliarden von Krebszellen bestehen.
  2. Die Tumor-Charakteristika, die vom Immunsystem erkannt werden müssen, sind für jeden Patienten und jede Patientin einzigartig. Sahin und Türeci erkannten, dass für eine Anpassung der Impfstoffe an das Antigenprofil des jeweiligen Patienten eine individualisierte Behandlung erforderlich war.  
  3. Ein individualisierter Impfstoff müsste sehr schnell produziert werden können, um eine Streuung des Krebses im Körper des Patienten oder der Patientin zu stoppen.

 

Sahin, Türeci und ihr Team erzielten in den folgenden zwei Jahrzehnten eine Reihe von wissenschaftlichen und technologischen Durchbrüchen. Diese ermöglichten es, das volle Potenzial dieses Moleküls für den Einsatz als Krebsimpfstoff auszuschöpfen.

  1. Sie arbeiteten an der Entdeckung und Entwicklung struktureller Komponenten der mRNA (die Cap-Struktur, der Poly-A-Schwanz und die nicht-translatierten Regionen), durch die sich die intrazelluläre Stabilität der mRNA und die Effizienz bei der Translation steigern ließ. Durch die Kombination der verbesserten Elemente konnte die Proteinexpression um mehr als das 1.000-fache erhöht werden.
  2. Sie verbesserten die Wirksamkeit des Impfstoffs durch die Entdeckung des Mechanismus, der eine selektive Aufnahme der mRNA in dendritische Zellen (DCs) ermöglicht, insbesondere in DCs, die sich in lymphatischen Geweben befinden. Diese DCs, die „Hochleistungstrainer“ des Immunsystems, steigern die Immunantwort (CD8 und CD4 T-Zellen) und damit die potenzielle Effektivität der Therapie erheblich.
  3. Das Team fand auch eine Methode zur Verbesserung der Präsentation der Antigene durch dendritische Zellen, um eine stärkere T-Zell-Antwort zu erzielen. Hierzu wurden die Antigene mit einem Signal des Haupthistokompatibilitätskomplexes I (MHC-I) gekoppelt. 
  4. Für die Realisierung ihrer Vision einer individualisierten Impfstofftechnologie, entwickelte das Team einen revolutionären Ansatz, der auf unterschiedliche Krebsarten angewendet werden kann und für klinische Studien innerhalb weniger Wochen zur Verfügung steht.
    Die Erfahrungen aus diesem Prozess trugen dazu bei, dass der COVID-19 mRNA-Impfstoff so schnell zur Verfügung stand.
3D-Darstellung von intravenös verabreichter mRNA

Strukturelle Verbesserungen für die Anwendung von mRNA als leistungsstarke Wirkstoffklasse

Alle unsere mRNAs enthalten optimierte strukturelle Komponenten. Wir glauben, dass diese essenziell für eine erfolgreiche Entwicklung sind:

5’-Cap-Struktur:

Die Integration eines einzigartigen Cap-Struktur-Analogons in die mRNA führt zu einer Stabilisierung des mRNA-Moleküls und einer zielgerichteten Immunantwort. Dies ermöglicht eine hocheffiziente Translationsleistung.

Nicht-translatierte Region am 3‘-Ende:

Die Zusammensetzung und Struktur der nicht-translatierten Regionen am 3‘-Ende des mRNA-Moleküls bestimmen die intrazelluläre Stabilität der mRNA mit.

Poly-(A)-Schwanz:

Wir haben umfassende Studien zur Struktur des Poly-(A)-Schwanzes und der Translationsleistung der mRNA gemacht und basierend auf diesen Erkenntnissen das Design unserer mRNA-Moleküle entsprechend optimiert.

Ein neuer Weg mit lösungsorientierten Ansätzen

Ugur Sahin, Özlem Türeci und Katalin Karikó haben in vielen Jahren intensiver Forschung die grundlegenden Probleme bei der Nutzung von RNA für Therapeutika und Impfstoffe mit verschiedenen, unabhängigen Ansätzen gelöst. Die Hauptprobleme waren Entzündungsreaktionen, die durch die initial sehr hohen RNA-Dosismengen ausgelöst wurden, die aber benötigt wurden, um eine Immunreaktion auszulösen, sowie die geringe und kurzlebige Proteinproduktion. 

Karikó konzentrierte sich zunächst auf die Anwendung von mRNA-Therapien für die Behandlung von Schlaganfällen und Gehirnerkrankungen. Hierbei entdeckte sie, dass eine Modifikation des Uridin-Nukleotids in der mRNA mit einer natürlich vorkommenden Alternative, wie z.B. Methyl-Pseudo-Uridin, dazu führte, dass das Immunsystem die mRNA nicht als fremdes Molekül erkennt, wodurch eine starke Entzündungsreaktion vermieden wird. Diese Modifikation ermöglichte es, mRNA in höheren Dosen zu verabreichen.

Sahin und Türeci entschieden sich für einen anderen Ansatz, um das Problem der geringen Immunantwort zu beheben: Das volle Potenzial des RNA-Moleküls konnten sie mit einer Reihe von wissenschaftlichen und technologischen Durchbrüchen entfalten, indem sie ein Design für jede strukturelle Komponente der mRNA (Cap-Struktur, Poly-A-Schwanz und die nicht-translatierten Regionen) entdeckten und entwickelten. Dieses erhöhte die intrazelluläre Stabilität und steigerten die Translation der synthetischen mRNA, insbesondere in Immunzellen, wodurch niedrigere Dosen nötig waren, um eine maßgebliche Immunantwort zu induzieren. Die mRNA wurde damit potent genug, um als Medikament eingesetzt zu werden. 

Katalin Karikó war seit 2013 Teil der BioNTech-Familie, seit 2022 arbeitet sie als externe Beraterin für das Unternehmen. Die drei Wissenschaftler veröffentlichten 2014 in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Nature Reviews Drug Discovery  eine umfangreiche Zusammenfassung über die Möglichkeiten der mRNA-Plattform, zu deren Entstehung sie wesentlich beigetragen haben.

Unsere mRNA-Formate:

Infografik von optimierter mRNA

Die Nukleotidsequenz der mRNA bestimmt die Aminosäuresequenz des Proteins. Weiterhin kann die Beschaffenheit der Nukleoside, die für die Herstellung der mRNA-Wirkstoffe verwendet werden, die Erkennung des Moleküls durch das Immunsystem beeinflussen. Die Anwesenheit von natürlich vorkommendem Uridin (U) in unserer optimierten mRNA führt durch die Aktivierung von Immunsensoren zur Immunogenität. Wir haben unsere uRNA für Immunogenität (erhöhte Antigenpräsentation über MHC I und MHC II) und pharmakologische Aktivität (erhöhte Stabilität und translationale Effizienz) optimiert. Durch die Funktion als immunaktivierender Verstärker ist die Immunogenität der uRNA bei der Verwendung als Immuntherapie von Vorteil – woraus potenziell wirksamere Therapeutika für unsere  iNeST- und FixVac-Programme resultieren. Beide Programme werden aktuell in klinischen Studien getestet. 

Infografik von Nukleosid-modifizierter mRNA

Bei der Anwendung zur Produktion therapeutischer Proteine, wie es bei unseren RiboMabs- und RiboCytokines-Plattformen der Fall ist, müssen wir immunogene Reaktionen gegen mRNA-Wirkstoffe vermeiden. BioNTech besitzt umfangreiche Erfahrung beim Einbau natürlich vorkommender modifizierter Nukleoside in unsere therapeutischen mRNAs. Wir konnten nachweisen, dass der Einbau verschiedener modifizierter Nukleoside in die hergestellte mRNA deren intrinsische Immunaktivierung unterdrückt und gleichzeitig im Laufe der Zeit zu einer besseren Proteinproduktion führt. Die sog. De-Immunisierung der mRNA durch den Einbau modifizierter Nukleoside hilft dabei, die Bildung von Antikörpern gegen den Wirkstoff selbst zu vermeiden und erweitert so die therapeutische Anwendung dieser Arten von mRNA-Wirkstoffen.

Infografik von selbstverstärkender mRNA

Unsere selbstamplifizierenden mRNA (saRNA)-Wirkstoffe nutzen das Konzept der viralen Replikation, wobei sie selbst nicht infektiös oder krankheitserregend sind. saRNA ähnelt unserem konventionellen mRNA-Ansatz zur Kodierung für ein bestimmtes Protein, kodiert aber zusätzlich für eine Polymerase, Replikase genannt, die einen Teil der mRNA innerhalb der Zielzelle vervielfacht. Während dieser selbst-Amplifizierung innerhalb der Zelle entsteht ein doppelsträngiges RNA-Zwischenprodukt, das von intrazellulären Immunsensoren erkannt wird. Aus diesem Grund ist saRNA ein sehr wirkungsvoller Aktivator des Immunsystems und somit ein hervorragender Immuntherapieansatz. Aus unserer Sicht ermöglicht saRNA es, mit einer geringen Menge an eingesetzter mRNA große Mengen an Antigenen über einen längeren Zeitraum hinweg zu produzieren. Hierdurch könnte diese mRNA-Klasse ideal für prophylaktische Impfungen sein, beispielsweise zur potenziellen Anwendung gegen Infektionskrankheiten.

Infografik von transamplifizierender mRNA

Diese Technologie ist eine Weiterentwicklung der saRNA-Plattform. Durch die Trennung der zu vervielfältigenden Ziel-mRNA von der für die Replikase kodierenden mRNA können wir zusätzliche Anwendungen entwickeln. Dies macht die Entwicklung von therapeutischen mRNAs noch flexibler, da die Replikase mRNA-Sequenzen amplifizieren kann, die für mehrere unterschiedliche Proteine kodiert. Somit können wir die Replikase bereits im Voraus produzieren und dann in unterschiedlichen Impfstoffkandidaten nutzen. Unsere transamplifizierende mRNA ist ein unternehmenseigenes mRNA-Format, von dem wir ausgehen, dass es sich sehr gut für prophylaktische Impfstoffe zur Vorbeugung von Infektionskrankheiten eignet.

Wirkstoffformulierungen

Unsere tiefgreifende und umfangreiche Expertise zum gezielten Transport von mRNA-Therapeutika

BioNTech hat große Fortschritte bei der Entwicklung von Krebsimpfstoffkandidaten sowie zusätzliche Impfstoffkandidaten gegen Infektionserkrankungen gemacht. Die Entwicklung von geeigneten Formulierungen für Lipid-Nanopartikel für den sicheren und gezielten Transport von mRNA ist ein wichtiger Meilenstein in der Arbeit unserer Wissenschaftler. Ugur Sahin und Özlem Türeci entdeckten den Mechanismus der selektiven mRNA-Aufnahme in dendritische Zellen und entwickelten zusammen mit ihrem Team eine Formulierung für einen Lipid-Nanopartikel, der diesen Mechanismus nutzt, um RNA gezielt in diese Zellen zu transportieren. 

Wir verwenden verschiedene Formulierungen für den mRNA-Transport. Jede wurde für unterschiedliche Funktionen entworfen und für die Anforderungen der therapeutischen Produkte optimiert, die auf der beabsichtigten Anwendung und dem Transportweg beruhen:

Grafik Lipoplex-Formulierung

Lipoplex

Unsere Lipoplex-Formulierung, oder LPX, bettet die mRNA zwischen eine Lipid-Doppelschicht, die für unsere FixVac- und iNeST-Plattformkandidaten verwendet wird. Wir verwenden einen firmeneigenen, nicht-viralen mRNA-Lipoplex, deren Größe und elektrische Ladung angepasst wurde. Diese Formulierung wurde entwickelt, um mRNA in dendritische Zellen in lymphatischen Geweben wie der Milz und den Lymphknoten einzubringen, um dort eine optimale Antigenpräsentation und Aktivierung der Immunantwort zu erzielen.

Grafik Lipid-Nanopartikel

Lipid-Nanopartikel (LNPs) 

Für andere Anwendungen verkapseln wir unsere mRNA in Lipid-Nanopartikel oder LNPs. Diese Formulierungen eignen sich für unsere RiboMab-, RiboCytokine- und andere Plattformen. LNPs kommen auch bei unserem COVID-19 Impfstoff zum Einsatz. 

Grafik Polyplexe

Polyplexe

Unser Portfolio umfasst außerdem Polyplexe, die in einigen unserer Forschungsprogramme verwendet werden. Dort wird die mRNA an ein Polymer gebunden und bildet dann Nanopartikel.

Weitere Informationen